Ein Kontinuum aus juristischen Fachwörtern regnet peitschend auf die Audienz herab. Die Quelle – ein herumwandelnder brauner faltiger Anzug. Das Mundwerk, einem Nussknacker gleich, öffnet und schließt sich unaufhaltsam. Bei der Betrachtung desselben fasziniert die präzise Mechanik. Das metronomhafte der Lauterzeugung verdrängt völlig das Gesagte. Bin ich der einzige, der diesem unablässigen Strom an Syntax und Bedeutung nicht folgen kann? Ich erhoffe mir Aufschlüsse darüber indem ich die Gesichter der Anwesenden studiere. Zu meinem Entsetzen lassen sie sich nichts anmerken, sie folgen konzentriert den Ausführungen des Metronoms. Sie scheinen sogar zu verstehen.
Ein erstes dezentes Unbehagen legt sich über mich. Ich verstehe nicht. Worte hallen elektrisch verstärkt durch den Raum. Hier werden sie ausgebildet die Richter, Staatsanwälte und Polizeidirektoren der nächsten Generation. Nur gehöre ich nicht dazu. Es ist nämlich ein Graben zwischen uns. Die Art und Weise, wie meine Gedanken keimen und aus ganz individuellen und verschiedenen Komponenten zusammengesetzt werden, um dann den nächsten Gedanken gleichsam automatisch auszulösen, wie Gedankenfäden zu Gedankensträngen verdichtet werden ist fundamental unterschiedlich.
Meine Finger sind feucht, der Fuß beginnt sich zu bewegen, mein Blick sucht weiter nach Unverständnis und Selbstzweifel in den Gesichtern. Das Gefühl nicht allein zu sein inmitten von Menschen. Vielleicht sind es gar keine Gesichter, sondern nur Masken und ich bin das einzige Gesicht. Mir schießen Gedanken durch den Kopf und langsamentgleiten sie mir der Kontrolle. Es sind in Überforderung, Verwirrung und Wut formulierte Selbstvorwürfe und Schuldgefühle gegenüber meinen Eltern, meiner Umwelt und mir Selbst. So komponiert, um mich zu verletzen. Ich werde mir selber gegenüber unfreundlich und ausfallend. Es überschlägt sich alles. Und plötzlich ist er wieder da der Punkt der Sinnfrage, am liebsten alles hinschmeißen. Die Muskeln spannen sich, die Faust ballt sich, wird schon knöchrig-weiss. Panik schafft sich Raum. Die Fassade meines Äußeren bröckelt, wenn sich die Furchen der Erosion nicht schon zu tief eingefressen haben. Den spitzen Bleistift presse ich in den Oberschenkel. Tränen wollen kullern. Nur weg, nur raus hier. Ich erhebe mich. Dutzende Augenpaare detektieren die Anomalie. Dann schwenken sie wieder zurück in den Takz Den Rücksack geschultert, mich auf eine ruhige natürliche Schrittfolge konzentrierend, verlasse ich den Saal. Nicht zurückschauen. Nur noch die Tür schließen und aus dem Gebäude fliehen.
Jetzt stehe ich draußen. Einatmen – ausatmen, durchatmen. Die Sonne scheint. Frische Luft, leichter Wind. Es ist warm, so angenehm warm. Der Bach gluckert ganz friedlich. Der Druck verringert sich. Schnell aufs Fahrad geschwungen radle ich entlang an grasgrünen Wildwiesen mit rotgelben Tupfern. Geradewegs in den Wald. Das Fahrrad lasse ich auf dem federnden Waldboden fallen. Ich laufe hinein ins Unterholz und lege mich zwischen Moosen und Farn nieder. Mein Blick wendet sich empor zu den Baumkronen.
Die Blätter reiben aneinander. Allein könte man sie von hier unten nicht hören, aber wenn sich diese Reibung myriadenfach vollzieht hört man das mächtige Rauschen der Bäume. Ich lausche und höre das leise knistern einzelner trockener Blätter der Eichen, welche auf den Büschen und dem Boden aufkommen. Die feinen verhärteten Äderchen zeichnen sich im Sonnenlicht deutlich ab. Es ist still hier, wo sich das Leben erneuert. So bin ich auch still und füge mich willig ein. Der chaotische Sturm hallt noch leise nach, um mit jedem Wimpernschlag seicht zu vereben. Es löst sich alles. Von oben herab rieselt Schlaf über mich, Morpheus bemächtigt sich meiner sanft und behutsam mit der Gewalt des Schlafes (dem kein Krieger/Kämpfer widerstehen kann) Ich habe wieder alles unter Kontrolle. Die Stimmung wird noch eine Weile andauern, aber der Druck ist verpufft. Alles löst sich. Der Zauber der Natur.
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